Von rot nach pinklila
Die slowenische Gesellschaft ist seit der Unabhängigkeit des Landes konservativer geworden. Feminismus ist verpönt, die Homophobie nimmt zu. Dagegen kämpfen die feministische und LGBTI-Community.
von Nicole Tomasek
Ein wildes Mädchen und deutsche Terroristinnen waren die Vorbilder. Seit dem Jahr 2 000 organisieren feministische Aktivistinnen in Ljubljana das international bekannte queerfeministische Festival »Rdeče Zore« (Rote Zora). Angesichts der gesellschaftlichen Umstände in Slowenien ist der Name durchaus provokant. Dabei geht es nicht so sehr um die Rote Zora, die Heldin des antifaschistischen Jugendbuchs »Die rote Zora und ihre Bande« von Kurt Kläber, der unter dem Pseudonym Kurt Held veröffentlichte, und auch nicht um die gleichnamige anarchafeministische Stadtguerilla aus den Siebzigern in der Bundesrepublik – die Organisatorinnen beziehen sich nur positiv auf die weibliche Bandenbildung und den Kampf um Rechte, lehnen Gewalt jedoch grundsätzlich ab. Für Aufsehen sorgt vielmehr der Zusatz »queerfeministisch« selbst.
Im generellen gesellschaftlichen Backlash werde »Feministin« von vielen als abwertender Begriff verwendet oder mit »Männerhasserin« gleichgesetzt, sagt Tea Hvala. Die 31jährige Slowenin ist seit 14 Jahren in der feministischen und LGBTI-Szene aktiv und beteiligte sich unter anderem an der Organisation des Rdeče Zore-Festivals. »Ich denke, ›feministisch‹ ist ein viel provokanterer Begriff als ›queer‹«, beschreibt Hvala die derzeitige Lage in Slowenien.
Viele Rechte, die Feministinnen im Laufe von Jahrzehnten erkämpft hatten und die bereits als selbstverständlich galten, würden nun wieder in Frage gestellt. Hvala erwähnt eine Studie der slowenischen Geisteswissenschaftlerin Lilijana Burcar, die rechtliche Errungenschaften in Ländern des ehemaligen Ostblocks mit denen in Westeuropa vergleicht. Burcar kommt zu dem Schluss, dass Frauen im Sozialismus im Durchschnitt besser dastanden als ihre Geschlechtsgenossinnen im Westen, zum Beispiel was bezahlten Mutterschaftsurlaub, das Recht auf Abtreibung oder die Kinderbetreuung anging. Vereinzelte Errungenschaften wurden jedoch zurückgenommen.
In den vergangenen Jahren stand das Recht auf Abtreibung in Slowenien bereits mehrmals zur Debatte, wurde jedoch noch nicht eingeschränkt oder abgeschafft. In letzter Zeit wurde die Neuregelung des Familiengesetzes, bei dem es unter anderem um die Rechte gleichgeschlechtlicher Partnerschaften geht, im Parlament heiß debattiert. Dabei sei auf sexistisches und homophobes Vokabular zurückgegriffen worden, das »vorher durch 20 Jahre Aktivismus eigentlich abgeschafft schien«, sagt Hvala. Insbesondere katholische Gruppen verteidigen das konservative Familien-ideal und rufen zu Protesten gegen »Kindesmissbrauch« und »Perversion« auf, die sie Familien mit gleichgeschlechtlichen Partnern anlasten.
Die katholische Kirche setzte sich maßgeblich für die reaktionäre gesellschaftliche Wende ein. Mindestens 60 Prozent der slowenischen Bevölkerung sind römisch-katholisch, aber nicht alle Katholiken sind fundamentalistisch. Sexismus und Homophobie nahmen in der unsicheren Übergangsphase nach dem Ende des Sozialismus allgemein zu.
Ein konservativer Wandel ist natürlich nicht nur im ehemaligen Ostblock zu verzeichnen. Und selbst im Sozialismus war nicht alles lila. Trotz fortschrittlicher Gesetzgebung unterlagen die Frauen einer dreifachen Belastung: Sie sollten sich im Beruf beweisen, sich um Haushalt und Kinder kümmern und sich noch dazu im Sinne der Parteiführung politisch engagieren. Es galt die Doktrin, dass mit dem Ende des Klassengegensatzes automatisch die Frauen befreit seien. Sie wurde erst in den Siebzigern von autonomen feministischen Gruppen in Frage gestellt.
In den Achtzigern entwickelte sich in Slowenien eine große soziale Bewegung aus Pazifisten, Künstlern, Punks, Feministinnen und anderen, die später auch zu den Besetzerinnen und Besetzern des autonomen Zentrums Metelkova (siehe Seite 5) gehörten. Die staatliche Repression beschränkte sich meist auf die Kontrolle »oppositioneller« Tätigkeiten, Verhaftungen waren selten. Die relativ progressive Jugendorganisation der Kommunistischen Partei wirkte zudem als Puffer zwischen den sozialen Bewegungen und der dogmatischen Parteiführung. Mitte der Achtziger entstand auch die slowenische Lesben- und Schwulenbewegung. Die Radikalität der sozialen Bewegungen ging jedoch nach der Unabhängigkeit Sloweniens größtenteils verloren, als viele Gruppen in NGO aufgingen. Die Angst vor dem Krieg und die Eskalation der Gewalt hinterließen auch in dem nicht direkt von Kriegshandlungen betroffenen Slowenien Spuren. Radikale Forderungen wurden etwa zugunsten von Flüchtlingsarbeit zurückgestellt.
»Das hinterließ für zehn Jahre einen leeren Raum«, beklagt Hvala das Fehlen radikaler Praxis. Dieser Raum wird erst langsam wieder gefüllt. Eine feministische Szene gebe es heute kaum. Auch in der LGBTI-Szene verabschiedete sich eine Generation mehr oder weniger vom öffentlichen Aktivismus. Viele ehemals Engagierte landeten im NGO-Sektor oder an den Universitäten. Dort toben sie sich in den Gender und Queer Studies aus. Eine Verbindung von radikaler Theorie und Praxis werde durch die fehlende »Präsenz auf der Straße« erschwert, urteilt Hvala. Der affirmative Gebrauch des Wortes »queer« beim Rdeče Zore-Festival sei ein Versuch, den Begriff wieder zu radikalisieren.
Mit dem Begriff »queer« haben in Slowenien jedoch einige Probleme. Die wenigsten bezeichnen sich so, er wird meist als unpolitisch abgelehnt. Es seien vor allem junge Lesben und Schwule, die noch nicht ihr Coming-out hatten, oder Heterosexuelle, die sich der Szene verbunden fühlten, die für sich eine »queere« Identität beanspruchten, fand Hvala in ihrer Forschung zum Thema heraus. Der Begriff wurde erst in den Neunzigern, zusammen mit den darum bereits geführten Diskussionen, aus den USA importiert. Von der ursprünglichen Radikalität ist wenig angekommen. Viele kritisieren vor allem eine Haltung, die der Parole »Alles ist möglich« entspricht und die gut zu flexibilisierten Arbeitsverhältnissen passe und eher eine Unsichtbarkeit von Lesben, Schwulen, Transpersonen und anderen erzeuge, als neue Möglichkeiten zu eröffnen. Einen konservativen Wandel auch innerhalb der Szene beschreibt zum Beispiel die bekannte lesbische Schriftstellerin Nataša Velikonja. Die Leute würden »domestiziert« und versteckten sich in Internetforen, anstatt sich den öffentlichen Raum anzueignen.
Auch gegen Akademikerinnen der Queer und Gender Studies existierten Vorurteile, sagt Hvala. Eine der von ihr Interviewten gab an, »conquistadoras«, heterosexuelle Frauen, die sich ein Scheibchen Widerständigkeit aneignen möchten, benutzten das Attribut »queer«, um ihre akademische Karriere zu fördern. In der Lesbisch-Feministischen Universität (LFU) auf dem Metelkova-Gelände geht es anders zu. Vesna, Teja, Tadeja und andere Frauen diskutieren einen Text von Alan Sears zu queerem Antikapitalismus. Die Bezeichnung »Universität« ist ironisch gemeint, es geht eher darum, der allgemeinen Perspektivlosigkeit Selbstorganisation und dem häufig nur auf Party ausgerichteten Queer-Aktivismus eine theoretische und auch andersartige kulturelle Auseinandersetzung entgegenzusetzen. Die jungen Leute seien apolitisch und konsumorientiert, beschweren sich die Frauen der LFU.
Ana Jereb, die bereits in verschiedenen Gruppen aktiv war und unter anderem das Festival Rdeče Zore mitorganisierte, sieht jedoch noch ein anderes Problem, das politischen Aktivismus erschwere. Die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse führe dazu, dass alle nur noch mit der Jobsuche und dem eigenen Überleben beschäftigt seien und gar keine Zeit für autonome Organisation hätten. Sie sieht einen Zusammenhang zwischen Arbeiter- und Frauenrechten, versteht diesen aber anders als die alten Sozialisten so, dass beide Hand in Hand gehen müssten. Ohne bessere Arbeitsbedingungen seien der feministische Kampf und der von LGBTI aussichtslos. Den chauvinistischen Strukturen innerhalb der Arbeiterbewegung müsse ebenso begegnet werden. Obwohl vor allem Frauen von der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen betroffen sind, sind es in Slowenien, zumindest in der radikaleren LGBTI- und feministischen Szene, vor allem Lesben, die kulturelle und politische Veranstaltungen organisieren. Manchmal kommt dabei die Theorie auch in der Praxis an. Einige Teilnehmerinnen des Rdeče Zore-Festivals sagten Hvala, sie seien beeindruckt gewesen, dass Feminismus auch etwas sei, das im täglichen Leben Anwendung finden könne.
Jungle World, Nr. 38, 22. September 2011